Überlegungen
Dieses Kapitel umfasst ein sehr weites Spektrum. Bei vielen wird sich nach dem Lesen (wie vielleicht auch bei anderen Kapiteln) der Gedanke einstellen: ”Wie soll ich das alles zugleich beachten und befolgen?” Nun, das ist am Beginn gar nicht auf einmal möglich - und auch gar nicht sinnvoll. Besser ist es, sich einen Punkt nach dem anderen bewusst zu machen und dann zu trainieren, bis er einen in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Der größte Fehler:
Der häufigste Fehler bei Fahranfänger/Innen (und nicht nur bei diesen!) ist der, dass diese zu wenig weit voraus blicken. Das hat vor allem evolutionstechnische Gründe (weil unsere Sinne auf hohe Geschwindigkeiten eigentlich gar nicht ausgerichtet sind, Gefahr drohte immer nur aus der Nähe,..). Wie sieht es bei dir aus? Wie weit blickst du voraus?
Routiniertere Fahrer sind sich dessen schon eher bewusst. Sie blicken meist auch genügend weit voraus. Aber in bestimmten Situationen (wie etwa bei einer Notbremsung) springt der Blick wieder knapp vor das Bike (oder ist auf ein eventuelles Hindernis fixiert).. Es ist sehr schwierig - und bedarf vielen Trainings - sich diesen ”Blicksprung in den Nahbereich” abzugewöhnen.
Der richtige Blick
Es erfordert viel Übung und ein ständiges ”daran erinnern”, bis der Blick nach vorne automatisiert ist. Noch viel mehr Übung braucht es, um dann auch in schwierigen Situationen den ”Blick nach vorne” zu bewahren (dazu gleich mehr). Auch - und gerade - beim Kurvenfahren ist der Blick nach vorne von oft entscheidender Bedeutung. Schau immer so weit in die Kurve hinein, wie es möglich ist - der Blick soll immer der Kurve Richtung Kurvenausgang folgen (das heißt, dass in Kurven der Blick ständig von einem Punkt weiter zum Nächsten “springt”). Nur so kannst du rechtzeitig erkennen, ob etwa der Kurvenverlauf sich ändert (die Kurve “macht zu”), Hindernisse auftauchen (langsam fahrendes Auto,...) und was es sonst noch an Tücken und Gefahren gibt.
Ein interessanter Versuch:
Probier einmal folgendes: Auf einem geeigneten Platz (leerer Parkplatz,...) wird ein gefaltetes Taschentuch aufgelegt (es kann natürlich auch ein Bierdeckel oder Ähnliches sein - aber wer hat schon einen solchen immer mit). Aus einer Entfernung von etwa 50 Metern wird nun langsam angefahren. Ziel ist es, über das Taschentuch zu fahren. Fast alle die dies erstmals versuchen, fahren knapp am Taschentuch vorbei.
Was ist passiert?
Das Taschentuch wird anvisiert. Man kommt immer näher, der Blick ist darauf fixiert. Dann verschwindet es vor dem Vorderrad aus dem Blickfeld (je nach Art des Motorrades oft schon einige Meter vorher) - knapp vorbei!
Warum?
Das Taschentuch wird mit den Augen fixiert, man fährt langsam darauf zu. Natürlich sind kleinere Korrekturen nötig, da kaum jemand weitere Strecken schnurgerade fahren kann (Bodenunebenheiten, Gleichgewicht,..). Das Problem dabei ist, dass man so auf das Taschentuch fixiert ist, dass die Korrekturen viel zu übertrieben ausfallen. Dadurch bedingt muss man Gegenkorrigieren, das erfolgt wieder etwas zu stark usw. So kommt es zu einem immer stärkeren Aufschaukeln, welches zunimmt, je näher man dem Taschentuch kommt. Und letztendlich fährt man knapp daran vorbei.
Auch bei den ersten Geländefahrten lässt sich dieses Verhalten feststellen. Immer wenn es “eng” wird wandert der Blick knapp vor das Vorderrad. Man will sehen in welcher tiefen Furche man gerade fährt, wo genau der Stein liegt, dem es auszuweichen gilt usw.
Was dagegen tun?
Hier gibt es nur einen Rat: Weiter voraus schauen (such dir einen Punkt hinter dem Taschentuch und fixiere diesen an)! Wenn dieser Tipp befolgt wird, verbessert sich der Fahrstil fast augenblicklich und deutlich bemerkbar. Wenn das Ganze mit einer höheren Gechwindigkeit gemacht wird, trifft man das Taschentuch eher (das hat damit zu tun, dass das Motorrad dann stabiler ist und durch kleinere Korrekturen nicht so leicht aus der Richtung gebracht werden kann).
Blicktechnik in kritischen Momenten:
Zum Abschluss dieses Kapitels noch ein paar Gedanken, warum dieses Thema auch - oder gerade - in kritischen Situationen so (lebens)wichtig ist:
Wer kennt nicht die Geschichten, wo jemand wegen eines Steines (oder eines anderen plötzlich auftauchenden Hindernisses auf der Fahrbahn) zu Sturz kam - vielleicht ist es dir selbst auch schon einmal passiert (hoffentlich nichts Gröberes passiert)?
Sehr oft liegt die Ursache des Sturzes darin, dass man die Regeln der Blicktechnik nicht befolgt. Man neigt einfach dazu, dass Hindernis zu fixieren! Fast hypnotisch wird auf den (meist) kleinen Stein gestarrt - und wir wissen ja: Wo du hinschaust, dahin fährst du auch! So sieht man dann zwar den kleinen Stein (und erkennt jede kleine Einzelheit davon), die große Lücke rechts oder links davon bemerkt man aber nicht! Und so fährt man nicht am Hindernis vorbei, sondern darüber (da kann man dann nur hoffen, dass es auch ein Hindernis ist, das man überfahren kann, denn sonst wirds wirklich eng).