Motorrad fahren abseits ausgetretener Routen
Man kann sich den Harz auf zweierlei Arten vornehmen. Da wäre die klassische. Sie folgt den üblichen Touristikrouten und streift bekannte Orte wie Wernigerode, Bad Harzburg, Stolberg und natürlich den Brocken. Die zweite Art hingegen weicht auf Nebenrouten aus und führt den Motorradfahrer in Regionen, in denen fremde Kennzeichen selten sind. Kleine, einsame und kurven reiche Sträßchen jedoch sehr verbreitet. Der Südharz in Kombination mit dem Eichsfeld beispielsweise eignet sich für eine solche Tour perfekt. Göttingen, Osterode, Clausthal-Zellerfeld , Braunlage, Duderstadt - fertig ist eine ca. 200 Kilometer lange Tagestour, die Fahrspaß und Landschaftsgenuss in unnachahmlicher Weise verbindet.
Startort Göttingen. Genannt die Gänseliesl-Stadt, weil jeder frisch gebackene Universitäts-Doktorand die Brunnenfigur auf dem Marktplatz küssen muss. Kein Wunder, dass die zierliche Gänseliesl auf diese Weise zur meistgeküssten Dame Deutschlands wurde. Göttingen hat in seiner über 1.000-jährigen Geschichte viel wissenschaftliche Tradition auf sich versammelt. An seiner Universität lehrten oder studierten über 40 Nobelpreisträger. Von 1948 bis 1991 war die Stadt Sitz der Max-Planckh-Gesellschaft, und noch heute arbeiten mehrere Forschungsinstitute über Göttingen verteilt. Einen Besuch wert ist Göttingens schnuckelige Altstadt übrigens für jedermann - auch ohne Doktortitel. Raus aus Göttingen, hinein ins Eichsfeld, dieses kleine Mittelgebirge im Süden des Harzes. Auf einem gut ausgebauten, frisch asphaltierten Sträßchen. Die Kurvenradien variieren ständig, die Fahrbahnbreite auch. Und so braucht es eine mutige Gashand, um dieser Etappe ihre maximale Geschwindigkeit abzutrotzen. Hügel rauf, Hügel runter. Nach wie vor ordentlicher, griffiger Belag. Erst das Ortsschild von Duderstadt bremst den Elan. 550 Fachwerkhäuser sind es, die sich dort im historischen Stadtkern versammeln. Also nichts wie das Motorrad abgestellt und ein paar Schritte durch Duderstadt spaziert. Einen Kaffee auf dem Marktplatz trinken , dabei eines der schönsten Renaissance- Rathäuser Deutschlands bewundern - Duderstadt lohnt sich.
Neue Kräfte gesammelt? Gut, denn die Etappe von Brehme nach Jützenbach hat es in sich. Auf sieben Kilometern prasselt ein Trommelfeuer von Kurven auf uns ein. Die Reifen finden im perfekten Asphalt sicheren Halt und erlauben zusammen mit der guten Übersicht ein zügiges Tempo. Hinter Jützenbach geht es wieder etwas ruhiger zur Sache, dennoch bleibt der Fahrspaß bis Bad Sachsa erhalten. Der Sommer- und Wintersportort hat einen berühmten Nachbarn: Die Ruine des 1127 errichteten Zisterzienserklosters Walkenried gehört zu Deutschlands besterhaltenen gotischen Klöstern.
Über Wieda, Zorge und Hohegeiß zackt die Route nun um den 636 Meter hohen Großen Ehrenberg herum. Steigungen, Gefälle und schöne Aussichten. Die schon ein paar Kilometer weiter am Aussichtsparkplatz Brockenblick übertroffen werden. Der Stopp ist dort ein Muss. Nicht nur wegen des Panoramas auf den Brocken, sondern auch, weil der Parkplatz am Wochenende zum Motorradtreff avanciert. Bis Braunlage kommt ein Stück der Harz- Hochstraße unter die Räder. Wer jetzt an eine langweilige Touristikstraße denkt, hat sich geschnitten. Breit, bestens ausgebaut und mit übersichtlichen und lang gezogenen Kurven versehen, gehört sie zum Feinsten, was Norddeutschland an Motorradstrecken zu bieten hat. Die herrliche Harzlandschaft setzt dem Ganzen das Sahnehäubchen auf. Kurz vor Braunlage links ab auf die B 27, nach etwa zehn Kilometern rechts ab nach St. Andreasberg. Dort beginnt ein schmales und kurviges Sträßchen, das sich in wunderschönen Kurven durch einen Laubwald den Berg hinaufschlängelt. Das Getriebe hat Arbeit, die Bremsscheiben werden warm. Spaß ohne Ende. Oben angelangt, stehen wir an der T-Kreuzung zur Bundesstraße 4, wo mit dem Torfhaus bis vor wenigen Jahren der älteste Bikertreff des Harzes wartete. Heute hat ein Restaurant-Hotelkomplex dieser Tradition den Garaus gemacht.
Nichts geändert hat der Fortschritt am Anspruch der Straße nach Altenau und weiter an der Sösetalsperre entlang. Die meisten Kurven sind alles andere als rund, machen immer wieder ganz überraschend zu. Der holperige Belag tut sein Übriges, um dieser Etappe das Prädikat "anspruchsvoll" aufzudrücken. Die ab und zu auftauchenden Tempo-60-Schilder mindern den Fahrspaß nur marginal. Ein waches Auge auf die grün uniformierte Rennleitung sei trotzdem angeraten.
Nach der kräftezehrenden Kurverei kommt das hübsche Osterrode mit seinem malerischen Kornmarkt gerade recht. Motor aus, Helm ab, Augen auf. Bildschönes Fachwerk umsäumt den Platz und macht aus der Stadt an der Söse ein kleines Juwel. Diesen Namen verträgt auch die folgende Strecke über Förste und Niensted nach Echte zur B 248. Kurven am laufenden Band, schmale Fahrbahn, Spaß ohne Grenzen. Ein kurzes Stück Bundesstraße, dann weiter nach Katlenburg und Hardenberg. Alles sehr flüssig zu fahren, der Asphalt ist gut in Schuss. die Verkehrsdichte gering.
Die letzten Kilometer über Ebergötzen zurück nach Göttingen bringen wieder Ruhe ins Fahrwerk . Zügig flitzt der gepflegte Belag der Bundesstraßen 446 und 27 unter uns hindurch Das Ortsschild von Göttingen kommt in Sicht. und ein rundum perfekter Motorradtag geht zu Ende. Ein Tipp zum Schluss: Wer Zeit hat, kann ab Altenau den lohnenswerten Umweg an der Okertalsperre vorbei über Clausthal-Zellerfel machen.